Text Bergland by Claude Horstmann
- Ich konnte nie erzählen, nur sprechen. -
Man kann versuchen zu sprechen von dem, was nicht gefasst werden kann. Man kann Kunst nicht fassen. Und man muss das Geheimnis erhalten. Es ist das Geheimnis einer Anwesenheit.
Etwas hat geschwiegen und kommt jetzt zum Sprechen.
Etwas hat gesprochen und kann nicht mehr schweigen.
Diese Bilder reden von Landschaften - oder besser: sie sprechen und schweigen über etwas, das in diesen Landschaften zu liegen scheint. Wie ist also dieses Sprechen - oder Schweigen - verfasst?
Es ist festzustellen, dass sich das Dargestellte in eigentümlicher Weise verhält: weder abbildlich noch geht es offensichtlich um einen spezifischen Symbolgehalt, in dessen Dienst sie auf etwas Übergeordnetes verweisen würden. Sie zeigen ein ‘So war es’, aber auch ein
‘So war es nicht', da sie anders sind als dieses blosse ‘So war es'.
Was das Besondere an diesen Bildern ist, lässt sich schwer benennen, etwas so noch nicht Gesehenes kennzeichnet sie - ein eigener Blick (den der Betrachter einnimmt). Welcher Art ist dieser Blick und was sieht man?
Das, was ich wahrnehme, möchte ich bezeichnen als ein Hören: als hätte sich der Blick ein Ohr aufgemacht für die Stille in diesen Bildern, an diesen Orten. Es ist ein Hören des Anwesenden in seiner Ruhe, in seinem So-Sein, das nicht zeitlich von Elementen wie Wetter geprägt ist. Das, was erscheint, steht nicht in einer kurzfristigen Zeit eines Tagesverlaufes, steht fast ausserhalb zeitlicher Bezüge.
Es geht darum, sich anzunähern an das, was selbst eine andere Bewegung hat.
Die Ruhe des Landes muss die der Person sein.
Man merkt, wie schnell man ist und nicht sein kann gegenüber dieser ganz anderen Bewegung oder vielleicht auch Nicht-Bewegung, die die Bilder haben.
- Ich höre den Raum. -
Solcherart in eine Ruhe gesetzt, fängt man an, die Ausdehnungen wahrzunehmen, die das einzelne Bild hat. Das, um was es geht, ist gar nicht weit weg, ist nicht ein Panorama bestimmter Berge, sondern liegt ganz nah im Vorder- und Mittelgrund. Es ist eine gleichmässige Präsenz, nichts, was wesentlich unwesentlich wäre.
Was alle Aufnahmen kennzeichnet ist ein eigentümlicher Bezug zum Boden. Es scheint so zu sein, dass der, der sieht, nach vorn sieht (um ein Bild zu machen), gleichzeitig aber geht eine eigene Bewegung nach unten: zum Boden und tiefer, ich betone: eine eigene Bewegung.
Das Bild berührt auch den Punkt wo man steht, man könnte auch sagen ‘Und wie man steht'. Von hier muss man ausgehen - um das Gleichgewicht zu spüren, das auch ein physisches ist.
Das Gleichgewicht des Raumes ist das Anwesendsein im unmittelbaren Feld.
Da unser Körper weit draussen beginnt ist auch die Empfindlichkeit schon dort. (1)
Über ein Bild in einen anderen Raum zu gehen bedeutet immer auch die Konfrontation in einer anderen Dimension.
Es ist die Erfahrung einer Tiefe, die nicht eine Entfernung meint, eher eine Tiefenräumlichkeit noch anderer Art, wo die Ausdehnung unklar wird, nicht ermessen werden kann, bisweilen ungeheuerlich wird.
Etwas das sich immer nicht begrenzen lässt ist das Hören.
Gehen wir davon aus, dass es sich um das Sehen eines Hörens handelt, handelt es sich in meinen Augen um eine Sprache an der Schwelle.
Wie kommt es zu solchen Bildern?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Es kommt zu solchen Bildern,
weil ich die Sprache nicht spreche,
weil die Sprache der anderen so nicht gesprochen werden kann,
oder weil ich mit etwas anderem spreche.
- Du warst verborgen. Ich war verborgen. -
Kommen wir zum Boden zurück als einer Grenze von unten und oben oder auch als einer Verbindung von unten und oben, so ist die Grasoberfläche in manchen Bildern an Stellen offen: freigegeben, aufgerissen, abgedeckt - ohne das preiszugeben, was Geheimnis bleiben muss, ohne das Geheimnis der Sprache preiszugeben.
Dieser Art unter den Boden zu gehen hiesse auch, unter das Wort zu gehen.
Man kann nicht sagen um was es sich handelt, aber es ist das, was nur gesehen - oder gehört - werden kann.
Claude Horstmann, Stuttgart/Paris 1999
1) Zitat: Franz Xaver Baier, Der Raum, S.85